Bewertung : 9 von 10 Punkte
Lífthrasir überlebt die Götterdämmerung und begründet mit Líf das neue Menschengeschlecht, heißt es.
Welchen Weltuntergang die Karlsruher von Lyfthrasyr überlebt haben, weiß ich nicht; sicher ist aber, dass die apokalyptischen Eruptionen auf “The Engineered Flesh” in gewisser Weise durchaus über das hinausgehen, was die aktuelle (Black Metal) Welt konstituiert.
Die Bezeichnung ‘Symphonic Black Metal’ ist zwar irgendwo nachvollziehbar, versagt als tatsächliche Beschreibung aber nahezu vollständig. Die metallische Basis ist ein modern-brutaler Bastard aus Black und Death Metal, die symphonischen Elemente sind jedoch weniger orchestral als vielmehr digital angelegt. Nicht mächtige Streicher, imposante Posaunen oder gewaltige Chöre tönen von jenseits des Ragnarök zu uns herüber, sondern sphärische Flächen und futuristische Synthesizer mit kosmischem Trance-Feeling. Wo doch mal traditionelle Streicher oder Pianos erklingen, werden sie mittels Hall in die Tiefen des Alls geschossen.
Das kann man hassen. Ich finde es dagegen so stark, dass mich nicht mal der Trigger-Klicker-Sound der Bassdrum genug nervt, um das Album abzuwerten.
Zu den in diesem Genre ungewöhnlichen Keyboard-Sounds kommt noch hinzu, dass die Songs einen irgendwie verrückten Charakter zur Schau tragen und über weite Strecken abartig schnell durch die postapokalyptische Ödnis brettern, gleichzeitig aber mit so poppig-simplen Melodien daherspazieren, dass man sich als Hörer unsicher fragt, ob das jetzt Kitsch ist oder Kunst.
Es ist eine perverse Freude, mit Lyfthrasyr durch die atmosphärischen, überwiegend rhythmusbasierten Songs zu heizen und sich immer wieder von den Wendungen und Klangcollagen überraschen zu lassen.
Zwischen der Raumfahrt-Atmosphäre von The Kovenants “Nexus Polaris” (damals noch Covenant), der maschinell-kalten Endzeit des “Deus Ex: Human Revolution”-Soundtracks und dem abgefahrenen Irrwitz von Strapping Young Lad erzählen Lythrasyr spannende musikalische Geschichten, die zwar fast ununterbrochen auf die Zwölf geben, aber nie in hirnloses Gehacke ausarten (und keineswegs nach einer der genannten Bands klingen).
Zu allem Überfluss hat “The Engineered Flesh” auch noch immer wieder Parts, die nicht nur mit aller Gewalt in die Magengrube drücken, sondern sich außerdem im Gehörgang einnisten – vermutlich, um dort ein neues Geschlecht von Ohrwürmern zu begründen (“Iden – ti – tyyyyyyyyyyyy!”).
Selten habe ich das Gefühl, dass ein Song hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt – am Anfang von “Wisdom In The Loop” hätte ich mir beispielsweise etwas mehr Schub gewünscht, und wenn der Blast dann kommt, wirkt er irgendwie kraftlos. Ansonsten fehlt dem Album lediglich ein Überhit; mit dem furchtbar eingängigen Lead-Synth bei “Technological Singularity” beweist die Band das Potenzial dafür.
Wer seinen extremen Metal gerne true und konventionell hat, lässt die Finger von “The Engineered Flesh”. Wer aber Spaß daran hat, brutale Musik jenseits gängiger Standards zu entdecken, ohne dabei gleich in die sperrige Avantgarde wechseln zu müssen, kann mit Lyfthrasyr nichts falsch machen. Zum Reinhören scheint lediglich das großartige Schlussstück “Life Overdose” ungeeignet, da es der strukturell experimentellste Song des Albums ist.
Quelle: LYFTHRASYR – The Engineered Flesh von Mystagog / NecroWeb Magazin.
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